Paradigmenwechsel in der Therapie
Ich habe in meinem Frühjahrs-Newsletter 2011, der auf meiner Homepage unter „Newsletter“ nachgelesen werden kann, einige Gedanken zu unserer momentanen Entwicklungssituation als Menschheit zum Ausdruck gebracht, die sich in mir v.a. im Angesicht der Nuklearkatastrophe in Japan gebildet haben.
Diese Gedanken haben mich dazu bewogen, mich unter diesen Voraussetzungen auch dem Thema der Therapie zuzuwenden und unsere Haltung innerhalb des therapeutischen Rahmens zu überdenken.
Diese Gedanken sind natürlich auch sehr von Erfahrungen geprägt, die ich in letzter Zeit v.a. im Bereich des Familienstellens machen durfte, die sich mir aber auch in der Begleitung von Menschen in der Einzeltherapie offenbarten.
Wir Therapeuten sind ein seltsames Völkchen. Auf der einen Seite meinen wir zu wissen, was der „Klient“ braucht und was wir ihm geben bzw. ihm abnehmen möchten und auf der anderen Seite machen wir immer wieder die Erfahrung, dass wir in diesem Bemühen immer wieder in die eigenen seelischen Fettnäpfchen treten die uns viel Energie abverlangen und die uns doch nicht erspart bleiben.
Wir müssen/dürfen diesen Weg gehen, weil es unser eigener Heilungsweg ist und wir täglich immer wieder in Spiegel schauen dürfen/müssen, die wir nur allzu gerne von uns fernhalten würden. Doch es hilft alles nichts. Es ist unser Weg und ich lerne jeden Tag aufs Neue, für diesen Weg dankbar zu sein.
Wenn wir uns vor Augen führen, dass wir alle Teile voneinander sind, die letztlich nicht voneinander getrennt sind, dann müssen wir uns auch über das Thema „Therapie“ Gedanken machen und ergründen, was dieser Bereich letztlich für uns bedeutet.
So sind in meinen Augen die Zeiten vorbei, in denen der Therapeut glaubte zu meinen, dass das was ihm der „Patient“ vor die Füße legt, nichts mit ihm zu tun habe.
Der Begriff „Therapie“ stammt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie „Dienen am Nächsten“.
Therapie ging und geht zum großen Teil immer noch davon aus, dass da beim „Patienten“, was soviel wie „der Geduldige“ heißt, etwas zu reparieren ist, weil er aus der Spur des „Normalen“ herausgefallen ist. Wir meinen also zu wissen, wo er gescheitert ist, was für ihn das Beste ist und was ihm helfen kann.
Das nährt unser Therapeutenego und wiegt beide in Sicherheit. Es bringt aber weder uns noch dem Patienten selbst die Freiheit der Selbsterkenntnis.
Nebenbei bemerkt sind dies auch sehr oft die Hoffnungen des Patienten selbst.
Auch er möchte am liebsten die Verantwortung für sich selbst an der Garderobe der Praxis abgeben. Auch das ist nur allzu menschlich.
Die Ausbildung in Therapie und im sozialen Bereich allgemein ist auch heute noch weitestgehend geprägt von der Ausbildung zur Co-Abhängigkeit. Es wird beim Hilfesuchenden ein Defizit gefunden, das behandelt, d.h. korrigiert werden muss.
Der Therapeut und Helfer weiß was zu tun ist um einen Menschen, der aus einem zutiefst neurotischen System herausgefallen ist, weil er es dort nicht mehr ausgehalten hat, wieder aufzubauen, ihn seelisch „einzunorden“, damit er in der Lage ist, an diesem Wahnsinn wieder erfolgreich teilnehmen zu können.
Von daher drängt sich durchaus die Frage auf, ob es immer die richtigen sind, die wir da behandeln wollen.
Da der Therapeut, der Helfer, einen scheinbar Hilflosen vor sich hat, dem es offensichtlich noch schlechter geht, als ihm selbst, kann er sich mit seiner ganzen Energie, seinem gesammelten Fachwissen und seiner ganzen Macht auf ihn stürzen und ihn „therapieren“ und ist nicht gezwungen, sich einzugestehen, dass er dabei immer in den eigenen Spiegel schaut. Hier würde er die Fratze seiner eigenen Hilflosigkeit erblicken.
Dadurch bringt er den Klienten in die Situation der Abhängigkeit.
Der Patient weiß offensichtlich nicht, wie es geht, wie er sich aus seiner Problematik wieder befreien kann und deshalb braucht er jemanden, der ihm den Weg zeigen kann.
Der Therapeut und Helfer wird co-abhängig, da er von der Abhängigkeit des Patienten abhängig ist.
So spielen beide ein Spiel in das sie sich immer mehr verstricken.
Auf diese Art und Weise werden die Würde des Patienten und die Würde des Therapeuten kastriert.
Beide verlieren durch die gegenseitige Abhängigkeit ihre Freiheit und ihre Kraft. Es ist eine Form von Sucht, die, wie jede andere Suchtform auch, in die Unfreiheit, in den Tod führt.
Dieses co-abhängige Verhalten läuft oft so subtil ab, dass es von beiden erst einmal nicht bemerkt wird. Dessen Aufdeckung ist allerdings nicht die Aufgabe des Patienten. Er wird, wenn er Glück hat, früher oder später merken, dass er da in einen Sog geraten ist, der ihn immer weiter nach unten zieht.
Ich möchte mit dieser Feststellung weder uns Therapeuten noch andere „Helfer“ an den Pranger stellen. Und doch ist es mir ein großes Anliegen, auf diese Hintergründe hinzuweisen, da ich sie auch in mir zutiefst erkannt habe und ich vom Schicksal damit immer wieder sehr schmerzlich konfrontiert wurde. Es geht erst einmal nur darum, dies so anzuerkennen. Es gilt, anzuerkennen, dass wir als „Helfer“ genauso hilflos, genau so verletzt und verwundet sind wie die Menschen, die bei uns Hilfe suchen.
Wenn wir uns unseren seelischen Wunden zuwenden können, dann brauchen wir uns auch nicht mehr auf unsere Patienten zu stürzen und zu versuchen, sie von ihren Wunden zu befreien. Dann sind wir einer von ihnen und wir Therapeuten dürfen endlich den Mut entwickeln uns einzugestehen, dass der Patient aus unserer Sicht erst einmal nur wegen uns kommt. Wir sind beide Patienten, Geduldige.
Jeder Patient, der zu uns kommt hat für uns erst einmal eine Botschaft und diese entgegen zu nehmen ist in meinen Augen der erste Schritt zur gemeinsamen Genesung. Sonst würde er nicht zu uns kommen.
Natürlich kommt der Patient auch wegen sich und natürlich profitiert auch er von dieser „therapeutischen Begegnung“. Es treffen in dieser Begegnung immer zwei Menschen aufeinander, die an einer ähnlichen „Krankheit“ leiden. Dieser Umstand ist die Voraussetzung, damit Heilung überhaupt stattfinden kann, dass beide aneinander genesen können.
Natürlich ist es notwendig, dass der Therapeut dabei immer ein paar Schritte voraus ist, da sich sonst beide in den Wirren ihrer seelischen Abgründe leicht verlieren könnten.
Was aber ist nun die angemessene Haltung des Therapeuten, die dem gerecht werden kann, was die nächsten Entwicklungsschritte von uns Menschen fordern?
Es geht sicher auch hier um Transparenz. Diese entsteht im therapeutischen Rahmen wenn auch der Therapeut bereit ist, sich seiner inneren Wirklichkeit zu stellen. Er gibt keine Ratschläge, er arbeitet auch nicht heraus, was für den Klienten das Beste ist denn das kann er nicht wissen, sondern er gibt sich selbst.
Der Patient geht Schritte voraus und der Therapeut folgt ihm. Was der Patient gefunden hat bringt er dann als Geschenk für beide mit. Das entbindet den Therapeuten von seinem Anspruch, den Weg zu kennen.
Er gibt sich selbst als der, der er ist, genau so wie er ist.
Dieses Geben hat nichts mit Aufopferung und einer damit verbundenen Belohnung zu tun. Diese ist billig zu haben. Unter dem „Geben“ im therapeutischen Kontext verstehe ich in erster Linie eine innere Haltung, eine innere Bereitschaft.
Das Geben innerhalb der Therapie sieht für mich so aus, dass sich der Therapeut in diese Leere, in dieses „Nicht-Wissen“, das den Raum zwischen ihm und dem Klienten ausfüllt, hineingibt. Er gibt sich mit dem was er ist, mit dem was er in sich trägt in diesen Raum hinein, ohne Furcht. Das heißt nicht, dass er vor dem Patienten einen Seelenstriptease vollführt. Es ist vielmehr seine innere Bereitschaft, sich nicht aus dem Geschehen herauszuhalten.
Er geht in Kontakt mit dieser Leere und hält sie aus, d.h. er wartet. Er belehrt nicht, sondern setzt sich der Situation als Ganzes aus.
Der Therapeut kann so, in seinem Körper verankert, in seiner Präsenz bleiben und ist dadurch mit seinem Menschsein in Kontakt.
Der Klient wird dabei selbst von dieser Leere erfasst. Dadurch können beide ihre egobezogenen Räume verlassen und miteinander Neuland betreten. Sie gehen ein Stück des Weges gemeinsam und sie wissen beide nicht, wohin sie dieser Weg führen wird.
Das hat mit Therapie im herkömmlichen Sinne nichts mehr zu tun, denn der Therapeut tritt dabei nicht als Helfer auf. Wir betreten hier den Bereich der Re-ligio, der Rückverbindung an unseren Ursprung. So sehe ich das therapeutische Geschehen auf diesem Hintergrund eher als „Gottesdienst“.
Jedes helfen wollen ist Ausdruck von co-abhängigem Verhalten, nimmt dem Klienten die Freiheit und raubt ihm die Kraft.
Wenn ich mich dem Leiden des Patienten aussetze, so wie es sich zeigt, dann behält der Patient seine Freiheit und indem ich das Leiden bei ihm lasse, bekommt er Kraft. Nicht vom Therapeuten, sondern aus seiner eigenen Seele.
Im Grunde ist es ein „Ja“ zu dem was ist, was ich ihm durch meine Haltung reflektiere.
Es ist eine tiefe Anerkennung dessen was ihn belastet und was schicksalhaft zu ihm gehört
Beide setzen sich diesem gemeinsamen Raum aus, ohne die Absicht, etwas verändern zu wollen. Was dann geschieht ist nicht vorhersehbar und schon gar nicht machbar. Es hat mit so etwas wie Gnade zu tun. Dies ist sowohl für das Ego des Therapeuten als auch für das des Patienten eine große Herausforderung.
Das Verhältnis von Oben (Helfer) nach Unten (Patient) pendelt sich auf Augenhöhe ein. Der Patient kann dadurch lernen, nichts mehr loswerden zu wollen und der Therapeut kann lernen, ihm nichts mehr abzunehmen. Dadurch bleibt die Würde von beiden gewahrt.
Genau an dieser Stelle, wo sich beide der inneren Wirklichkeit aussetzen, so wie sie ist, kann sich etwas offenbaren, was für beide sehr heilsam sein kann. Der Patient muss davon nichts wissen. Er ist da, so wie er ist. Es reicht, wenn ich als Therapeut in diese innere Haltung gehe. Der Patient kann sich dem dann kaum entziehen.
Wenn wir von Heilung oder von „heil-werden“ sprechen, dann meinen wir immer zu wissen, was das bedeutet, d.h. wir tragen ein bestimmtes Bild in uns, das unserem Heilungsideal entspricht. Und so tun wir alles, um uns in dieses Heilungsbild hinein zu entwickeln.
Bilder sind geistige Gebilde und haben in der Regel mit der Wirklichkeit recht wenig zu tun. Geistige Gebilde stehen sehr oft in Verbindung mit der plutonischen Seite in uns. Diese plutonische Kraft will uns schöne Bilder vorgaukeln – z.B. das Bild von Heilsein – und will uns dadurch von unserer inneren Wirklichkeit, unserer inneren Wahrheit wegbringen.
Es ist die Seite die uns verführen möchte, einem bestimmten Bild, einer bestimmten Idee zu folgen, in der Hoffnung, dass es uns dann besser gehen wird.
Doch das sind alles Illusionen, die sehr viel Seelenenergie kosten. Es sind Einladungen, das zu leugnen was ist.
Das was ist, ist immer das, was sich jetzt gerade in diesem Moment in meinem Leben ereignet, unabhängig davon ob es mir gefällt oder nicht. Das ist unsere innere und äußere Wirklichkeit. Vielleicht ist sie auch eine Illusion. Doch mit ihr muss/ darf ich mich eben jetzt auseinandersetzen.
Alle Verführungen, und diese sind sehr tricky, wollen uns immer vom Hier und Jetzt, von dem was gerade ist, wegführen. Dies ist eine alte Menschheitsgeschichte und es geht nicht darum, uns vor diesen Verführungen zu schützen oder ihnen entkommen zu wollen. Sie gehören zu unserem Leben dazu.
Doch wir dürfen Erfahrungen damit machen. Erfahrungen, die uns zeigen, dass wir wieder einmal auf etwas hereingefallen sind, weil wir hofften, uns selbst entkommen zu können. Wir können uns aber nicht entkommen. Wohin wir auch gehen, der Schatten geht mit.
Verführungen wollen uns dazu verführen, dem Egotod entkommen zu wollen. Wir wollen, dass alles so bleibt, bzw. dass sich das worunter wir leiden, zum Besseren wendet.
So wurde die Therapie geboren, die unter dem Deckmantel des Helfens Angebote macht, die uns heilen sollen.
Folgende Fragen drängen sich auf: „Wohin wollen wir denn geheilt werden?“ „Geheilt wovon?“ „Geht es uns dann besser, wenn wir geheilt sind?“
Wenn wir den Wunsch nach Heilung haben, was zutiefst menschlich ist, dann wollen wir den Zustand der Krankheit, des „Un-heiles“ überwinden. Was wir aber oft nicht sehen wollen ist, dass sich beide Seiten gegenseitig bedingen. Ohne Heilsein gibt es kein Kranksein und ohne Kranksein gibt es kein Heilsein. Das Kranksein ist die Voraussetzung für den Weg der Heilung.
Solange wir uns auf der Ebene der Polaritäten aufhalten, werden wir uns immer wieder auf eine Seite, die Seite des Heils stellen und die andere Seite, die Seite des Un-heiles bekämpfen.
Wirkliche Heilung ist Gnade. Ob sie mir widerfährt liegt in den Händen einer höheren Macht. Solange wir jedoch gegen das Unheil kämpfen, kann uns diese Gnade nicht zuteil werden.
Erst indem wir beide Seiten in uns anerkennen, ist es uns möglich, über diese Polarität hinauszugehen. Erst dann kann uns diese Gnade geschenkt werden, oder auch nicht.
Wenn sie uns nicht zuteil wird, dann kann uns das nicht erschüttern, da wir dann nicht mehr kämpfen müssen und beide Seiten einen guten Platz in uns haben. Wir müssen uns dann nicht mehr gegen die Krankheit wehren, in welcher Form sie sich auch immer zeigen mag. Wir haben stattdessen gelernt, auf sie zuzugehen, sie kennen zu lernen und vielleicht sogar lieben zu lernen. Dann kann sie uns ihr Geheimnis offenbaren, was wir als Erkenntnis in unserem Leben erfahren können.
Wenn wir uns die nächsten Entwicklungsschritte der Menschheit anschauen die vor uns liegen und die geprägt sein werden von der Entwicklung eines neuen „Wir-Gefühls“, dann werden diese Entwicklungsschritte auch im therapeutischen Rahmen ihre Entsprechung finden.
Wenn es für uns Menschen jetzt darum geht, zu lernen, uns immer mehr zu öffnen, uns zu „entprivatisieren“ und zu geben, uns zu geben, mit allem was zu uns gehört, dann wird es auch im Bereich von Therapie und Heilung darum gehen, die Karten auf den Tisch zu legen.
Dann kann der Therapeut sich auch nicht mehr draußen halten und so tun als ginge ihn das, was ihm der Patient vor die Füße legt, nichts an.
Es geht also auch hier darum, ein Feld von Transparenz zu schaffen, das frei ist von Meinungen, Urteilen, Ursachenforschung oder Zielorientierung. Dieses Feld wird zutiefst geprägt sein von der gegenseitigen Achtung und Wertschätzung des Schicksals des anderen.
Es begegnen sich zwei Menschen, die an einer ähnlichen Krankheit leiden und allein diese Begegnung ist schon eine Einladung zu mehr Transparenz, zu mehr Offenheit, zu mehr Genesung.
Der Therapeut setzt sich dem Klienten aus, mit allem was er mitbringt, ohne die Absicht ihn verändern zu wollen. Dies gelingt ihm dann, wenn er dem, was er in sich selbst vorfindet, ebenfalls zustimmt. Dann kann er in den Raum der Leere, des Nicht-Wissens eintreten, in den er den Klienten dann einlädt.
In diesem Raum werden beide von einer geistigen Bewegung erfasst. Wenn sie sich beide dieser Bewegung ohne Furcht hingeben können, werden sie von dieser geistigen Kraft geführt. Dann können ihnen in diesem Raum des Geistes Erkenntnisse offenbart werden, die beide weiterführen können.
Dabei ist wichtig, dass die Erekenntnisse zu einem Handeln geführt werden, da sie sonst ohne Wirkung bleiben.
Wenn dies nicht möglich ist, werden trotzdem wichtige Erfahrungen gemacht, die beide bereichern und die Wirklichkeit offenbaren.
In diesem Raum, den beide betreten, wird keine Manipulation mehr stattfinden oder ein „irgendwohin – therapieren“.
In diesem Raum kann der Therapeut den Klienten so annehmen, wie er ist und er kann ihn dort lassen, ge-lassen. Das setzt voraus, dass er sich selbst ebenfalls so annehmen kann. Er hält sich und den anderen aus.
In diesem Raum kann sich die Liebe offenbaren. Die Liebe, die allem so zugewandt ist, wie es ist. Die Liebe die heilt.